"Der Begriff Yoga beschreibt in seiner gewöhnlichen dialektischen Formulierung eine Übungs- und Meditationsmethode, die ein Einswerden der verschiedenen Ebenen von Seele, Körper und Geist anstrebt. Mit den einfachen, oftmals sehr leichtfertigen Definitionen können wir uns aber nicht zufrieden geben, wenn wir die tiefe christliche Mystik mit einer fremdländischen Übungsweise in Verbindung bringen wollen. Die reale Gotteserfahrung oder die so unaussprechliche mystische Einswerdung der individuellen Seele mit dem Ewigen, kann bei sorgfältiger Betrachtung nicht das Ergebnis von verschiedenen Übungen oder einer speziellen Meditationspraxis darstellen. Das Individuum steht sowohl im Yoga, als auch im spirituellen Christentum in einem progressiven Verwandlungsprozeß seines ganzen Wesens mit allen psychischen und physischen Gliedern.
In einer einfachen Erklärung sprechen wir von einem niedrigen Ich oder Ego, das durch das gewöhnliche, an die Sinnenwelt gebundene Denken wie auch Fühlen gebunden ist und sich in einem vitalen, nach eigener Wunschzufriedenheit strebenden Willen äußert. Die drei Glieder oder Seelenkräfte des Denkens, Fühlens und Willens erfahren in der Schulung des Yoga eine so tiefe Verwandlung, die einem Sterben der ganzen alten Individualität gleichzusetzen ist. Auf diese Ablösungs- und Todesprozesse erfolgen in der weiteren Vertiefung die neuen Lebensprozesse, die einer Auferstehung gleichen und das Zeichen der Reinheit in der Seele tragen. In diesem Buch befinden sich deshalb nicht äußere Übungsanleitungen und auch keine theoretischen Schlußfolgerungen über östliche und westliche Wege, sondern meditative Texte mit einer inneren verschlüsselten Bedeutung, die in der Regel erst nach einiger Zeit der Beschäftigung zu einem realen Bild der Wirklichkeit erwachen.
Die gesamten Seelenübungen nehmen dabei nicht die uns so sehr bekannte Rolle zur Verbesserung der Lebensqualität ein, sondern sind ein ganz tiefer Ausdruck der künstlerischen Offenbarung eines beginnenden seelischen Erwachens. Da man all den Beschreibungen keine konkrete Anleitung entnehmen kann, ist man zu einem neuen Denken und wacheren Erschauen von Anfang an aufgefordert. Der Yoga, der hier in Verbindung mit christlichen spirituellen Gedanken niedergeschrieben ist, beginnt nicht im Körper, sondern ganz in einer Seele, die frei von allen Begrenzungen und Determinationen des Leibes ist und sich somit über den Körper in eine übersinnliche, geheimnisvolle Nähe des Einen und Ewigen zu erheben vermag."(H. Grill)